"Beim ersten Lesen des Corona-Tagebuchs kam mir mit Blick auf den Erzählstil direkt eine Parallele zu Max Frisch Erzählung `Der Mensch erscheint im Holozän` in den Sinn. Auch hier sammelt der Protagonist Informationen aus Lexika und anderen Schriftstücken und bindet diese in den Text ein. Nun sammelt Frischs Protagonist diese Zettel, weil er gegen seinen fortschreitenden Gedächtnisverlust kämpft. Parallel zu seinem Gedächtnisverlust isoliert ihn ein tagelanges Unwetter in einem abgeschnittenen Schweizer Bergdorf. Innen- und Außenwelt verschmelzen. In dieser Zeit der Ungewissheit versucht er, das humane Universum und seine Stellung als Mensch darin zu rekonstruieren.


Und auch wenn Pete Jones Protagonist gewiss nicht gegen den Zerfall des menschlichen Lebens (als Tod und Demenz) kämpft – auch er wird von einer exogenen Krise bedroht, sein räumliches Bewegungsradius schrumpft zusammen und das Leben spielt sich ab auf wenigen Quadratmetern zwischen Hosenwaage und Computer. Das Sortieren und Zusammenfassen unterschiedlicher Texte entsteht zunächst aus der Langeweile heraus, entwickelt sich jedoch zunehmend zu einem Kampf gegen den Verlust des Gedächtnisses – angesprochen ist dabei das individuelle, aber mehr noch das kollektive Gedächtnis. Dabei geht es weniger um die Frage des bloßen (Nicht)Wissens, als um Erinnerung, Einordnung und Identität: „Gedanken fallen einem nicht ein, sie fallen über einen her und alles scheint so schrecklich bedeutsam“ und „alte Weisheiten gelten nicht mehr“. Gleichzeitig liest sich Jones Erzählung wie der Versuch, die Wirklichkeit im Chaos der Krisen subjektiv zu ordnen. Krisen, die ungefiltert auf den Menschen einströmen. Jones rangiert dabei zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen dem Digitalen und dem Analogen, zwischen den historischen Ideen und den Tücken des Alltags, zwischen Halbschlaf und energetischem Schaffen - zwischen Nüsschen und Bier. Bewusst existieren weder „anderseits“, noch „andererseits“ – denn beide Seiten sind stets durch ein bedingendes „und“ verwoben. Keine Zukunft ohne Vergangenheit, keine Nüsschen ohne Bier.


Frischs Protagonist scheitert und folgert „Der Mensch ist ein Laie“. Pete Jones aber erspart seinem Protagonisten Moment des Scheiterns. Er befreit ihn von dem Anspruch ein historisch makelloses Meisterwerk zu schaffen und öffnet ihm damit dem Weg für seine eigene Erfahrung der Wirklichkeit. Und daraus entsteht Kunst – ohne Vorahnung, ohne Planung. Jones lässt seinen Protagonisten in der Krise zur Kunst finden und zum Künstler werden. Die Kunst aber hat die „Kraft, eine revolutionäre Sichtweise zu schaffen“.  Der Mensch hat sie auch – er ist kein Laie, er ist Veränderung.


Abgesehen von der Analogie zu Max Frisch, die kann man sehen oder auch nicht - ich habe das Corona-Tagebuch sehr gerne gelesen. Und ich habe selbst begonnen, zu sammeln und zu sortieren. Pete Jones Zitate und seine Postkarten. Wer Werke schafft, die nicht nur schön anzusehen sind – sondern anregen zum Unter- und durchstreichen, zum Amüsieren und gleichzeitig Kopfzerbrechen, der macht einiges richtig. Außerdem unterstreicht die Collage, wie kein anderes Stilmittel, den Bewusstseinstrom, wie ihn eben nicht nur Pete Jones Protagonist während der Corona-Zeit erlebt hat, sondern wohl viele andere Menschen: Mehr und Mehr (Des)Informationen, der Bedarf aber auch die Sättigung nach neuen Bildern und Wahrheiten. Pete Jones bietet seinem Protagonisten eine Möglichkeit, damit umzugehen, eine Art Selbsttherapie durch Sammeln und Sortieren und der Erkenntnis: In uns ruht eine Kraft der Veränderung. Der Mensch – er könnte angesichts der Krise scheitern. Er muss es aber nicht. Und so schwingt in all dem Chaos doch irgendwie auch Zuversicht mit." Jessica H.